Samstag, Dezember 29

Randnotizen um Tango - 5


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Das Grollen des Donners ist eine wiederholte Antwort auf das widerliche Gefühl einer verpaßten Möglichkeit. Der Schimmer eines Kirchenlichtes fällt auf eine Photographie von E., die halb nackt, für einen Ball kostümiert und maskiert ist ..., ich weiß nicht mehr, ich sitze da, hilflos, leer wie ein Greis.
[...]
Eigentlich kommt jeder irgendwann in die Situation, die mich jetzt lähmt; die Fragen, die sich mir stellen, haben das Leben und die Unmöglichkeit des Lebens jedem schon gestellt. Doch Sonnenlicht blendet, und wiewohl aller Augen das wissen, wird niemand daran irre.
[...]
Der Weltengrund beruht zweifellos auf niederschmetternder Naivität, grenzenlosem Verzicht, trunkenem Überschwang, einem heftigen »Was soll's!«
[...]
Ich ging noch einmal an E.s Tür vorbei und traute mich nicht, anzuklopfen: Nichts zu hören. Ich habe keine Hoffnung mehr; die Furcht vor dem Unwiderruflichen nagt an mir.
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Georges Bataille, Das Unmögliche (L'Impossible)
(aus dem Französischen von Brigitte Weidmann)
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Tango ist eine Musik,
mit der
zwei Menschen
zu einer verpassten Möglichkeit
und
zur Unmöglichkeit des Lebens
tanzen . . .
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Mittwoch, Dezember 19

zur Tangogeschichte - 4

Zur Instrumentalisierung der Tangomusik in ihren ersten Zeiten:
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In der ersten Zeit des Tangos findet man Trios mit Geige, Querflöte und Harfe, manchmal auch mit italienischen Akkordeon, Harmonika  mit Seidenpapier bespannten Kämmen oder Konzertina, wie bei dem Trio des Geigers 'Negro Casimiro' und des Klarinettisten 'Mulato Sinforoso'. Sie werden von einer Gitarre begleitet [...]. Manche Trios hatten auch ein Klavier, so wie das von Roberto Firpo, [...]. Das Bandoneon hatte noch nicht die differenzierte Rolle der anderen Instrumente, doch es tauchte immer häufiger auf, besonders in den cuartetos. [...] Die Harfe wurde zugunsten der Gitarre aufgegeben, da diese billiger und leichter zu transportieren war. Am häufigsten wurden diese Instrumente in Cafés und Bars gespielt, was nicht ausschließt, dass sie auch in 'intimeren' Etablissements zu finden waren. [...] Das Klavier erlaubte dem Tango, manche gesellschaftliche Barriere zu überwinden und seinen Platz zwischen Walzer und klassischer Musik in den vornehmen Tanzlokalen von Buenos Aires einzunehmen.


Doch die neue Formation, die sich behaupten sollte, war das Trio mit Geige, Klavier und dem Instrument, das sich definitiv als la voz del tango, die Stimme des Tangos, durchsetzen wird: dem Bandoneon.
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Michel Plisson, Tango

Samstag, Dezember 15

zum Tangotanzen - 2

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Tango is what happens between steps.
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The pause is a pause; you don't have to fill it. But it's not a void; it's a silence, a tension, a bridge. The pause is the motor that is still running, that hasn't stopped. This is fundamental in the tango. Sometimes we fill a pause with just anything, any random movement. Why? Because we're afraid. What's wrong? You're not feeling well? What do you mean? Well, you've stopped moving. No, macho! I'm just pausing.
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I dance the silence. I dance what comes before the music, and what comes after. I dance nothing. What I dance is like an intention. How can I explain it?
[...]

Let everyone dance as they like, but let them know that there is another way, a dance that does not mean running wildly in all directions. Let them learn what a pause is, that it is not a step, but rather what exists between steps.
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Carlos Gavito*


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* Im Buch: Ricardo Plazaola, I wanted to dance; Carlos Gavito: life, passion and tango

Randnotizen um Tango - 4

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Die Ungewissheit ist der Ausgangspunkt. Wir alle fühlen uns verletzlich und schwach und müssen deshalb Vertrauen haben, weil wir nicht alles vorhersehen können. Die Unwägbarkeit ist der Kernpunkt. [...] Vertrauen zu haben ist eine Art Wette. Man muss wetten, auf das Leben setzen, auf den Anderen, auf sich selbst, obwohl man weiß, dass alles Wetten nichts an der Unwägbarkeit ändert, die unsere Pläne jederzeit über den Haufen werfen kann. [...]

Es geht darum, die richtigen Maßstäbe zu finden. Obwohl ich nicht sicher bin, ob das etwas mit Klugheit zu tun hat. Denn, wer zu klug ist, wird nicht springen, aber, Vertrauen haben, heißt springen, heißt Ruhe und Sicherheit aufgeben, sich in etwas hineinwagen, das man nicht kontrollieren kann. [...]


Das 'Ja' bietet keine Garantie, aber dennoch ist es besser 'Ja' zu sagen, wenn man etwas erreichen will, Neues entdecken und ein Stück des Weges mit dem Anderen gehen will. Denn, wenn man immer nur 'Nein' sagt, verschließt man sich, bleibt man stehen.


Was ist die Kehrseite des Vertrauens? Die Angst! [...]


Das ist auch das Problem unserer heutigen Gesellschaft, die, wie ich meine, von zwei Schlüsselbegriffen bestimmt wird: Angst und Misstrauen. [...]


Wir sind heutzutage so wenig bereit, Vertrauen zu schenken, dass wir lieber einer Haltung des systematischen Zweifels verhaftet bleiben. [...]


Das Vertrauen hat auch die ihm innewohnende Tugend, jederzeit etwas Neues entstehen lassen zu können. [...]


Das Vertrauen schafft [...] die Verbindung.


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Michela Marzano
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Vertrauen ist auch die Grundlage des Tango-Tanzens! Obwohl Vertrauen das Risiko des Verletztwerdens mit sich bringt..

Deswegen darf man nicht vergessen, so Michela Marzano: "[W]enn ich vertraue, muss mir trotzdem bewusst sein, dass Verrat möglich ist" und "[w]er vertrauen schenkt, muss immer wachsam sein,"; es muss uns aber auch klar sein, dass im glücklichsten Fall, wie Raphaël Enthoven sagt, "Vertrauen Harmonie [schafft]"!

Die Frage ist nun ganz klar, auch wenn die Antwort nicht immer so leicht ist: Hast Du den Mut zu Vertrauen und auch dazu, Dich durchs Vertrauen zu binden, oder nicht?
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Mittwoch, Dezember 5

zur Tangogeschichte - 3

Zur sozialen Geografie von Buenos Aires im späten 19. Jahrhundert und zur Urspründe des Tangos:
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Als ab 1880 im Hafen von Buenos Aires die Einwanderer von den Passagierschiffen von Bord gingen, fanden viele von ihnen nicht das Land vor, das sie sich vorgestellt hatten. Die argentinische Oligarchie gab sich damals liberal, Paris war ihr gefühlter Bezugspunkt - aber ihre Liberalität endete an den Zaunen der eigenen Landgüter. Die Neuankömmlinge konnten keinen Grund und Boden in der Pampa erwerben. Die ins Land gelockten Einwanderer landeten am Stadtrand von Buenos Aires in verruchten Mietskasernen, den sogenannten Conventillos. [...]

Die soziale Geografie von Buenos Aires war damals genaufestgelegt. Im Zentrum um die Plaza de Mayo residierte die Oberschicht. [...] Die Vorstadt, der Arrabal, blieb den Armen und Neuankömmlingen überlassen. Für die Oberschicht war der Arrabal ein Zentrum der Kriminalität und der verlotterten Sitten. Das Hafenviertel La Boca galt ihnen lange Zeit als gefährlicher Ort. [...]

In den Conventillos werden Volkslieder über heldenhafte Gauchos gesungen. In einfache Theaterstücke wurden Lieder eingebaut, später auch Tangos. Der Tango ist eine Fusion aus den einheimischen Musikstilen Candombe und Milonga mit der Habanera und dem Tango andaluz. Das Wort 'Tango' taucht Anfang des 19. Jahrhunderts auf den Sklavenmärkten in Buenos Aires und Montevideo auf. Damit wurden Orte bezeichnet, an denen die Schwarzen Tänze aufführten und Geld sammelten, um Sklaven freizukaufen.
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Ingo Malcher, Tango Argentino: Porträt eines Landes

Samstag, Dezember 1

Biographien aus der Tangogeschichte - 2 - Alberto Castillo


Alberto Castillo
Alberto Salvador De Luca, der Sohn einer italianischen Immigrantenfamilie wurde 1914 im Stadtteil Mataderos in Buenos Aires geboren. Wenn er in einer Pause seiner Tangokarrierre nicht Medizin studiert hätte, hätte er die Eltern von Ofelia Onato ganz sicher nicht davon überzeugen können, ihm ihre Tochter zur Frau zu geben. Mit seinem Studium konnte er ihre Eltern jedoch für sich gewinnen, aber eigentlich war er doch immer nur der Sänger mit einer besonderen Stimme, von der wir uns auch heute noch in zahllosen Aufnahmen überzeugen können.

Letztendlich wäre auch sein Vater nicht so begeistert gewesen, hätte er gewusst, dass sein Sohn heimlich eine Karriere als Tangosänger begann und bereits während der 30er Jahre unter den Spitznamen "Alberto Dual" und "Carlos Duval" mit den Orchestern von Julio de Caro (1934), Agusto Pedro Berto (1935) und Mariano Rodas (1937) sang.

Er hat zunächst gesungen, dann eine Pause eingelegt und währenddessen sein Medizinstudium beendet. Er war tagsüber der Frauenarzt Alberto Salvador De Luca, nachts aber der Tangosänger Alberto Castillo, der die Herzen der Frauen eroberte.

Seine ersten Aufnahmen mit Ricardo Tanturi erschienen am 8. Januar 1941, der Tango-Vals "Recuerdo" war sein erster Hit. Und von da an war "Alberto Castillo" sein letzter Bühnenname, unter dem man ihn bis zu seinem Tod kannte.

Schön, dass er sich mit seiner besonderen Stimme für den Tango entschieden hat und dass er bis zu seinem Tod (2002) weiter gesungen hat.

Randnotizen um Tango - 3


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His own opinion, which he does not air, is that the origins of speech lie in song, and the origins of song in the need to fill out with sound the overlarge and rather empty human soul.
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J. M. Coetzee, Disgrace
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ist das die Erklärung dafür, wie und warum Tango die Seele so tief berührt?
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