Samstag, März 9

Randnotizen um Tango - 10


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The tango is what remains when you remove all movement, when the only thing that is left is feeling.
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Carlos Gavito*
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es geht einfach ums Fühlen..
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* Im Buch: Ricardo Plazaola, I wanted to dance; Carlos Gavito: life, passion and tango

Freitag, März 1

Biographien aus der Tangogeschichte - 5 - Carlos Di Sarli

Carlos Di Sarli, der Achte von neun Söhnen einer uruguayischen Mutter und eines italienischen Vaters, wurde 1903 geboren.

Als er 13 war, verlor er wegen eines Unfalls im Waffengeschäft seines Vaters eines seiner Augen. Danach hat er nur noch schwarze Brillen getragen, um diesen 'Defekt' zu bedecken...


Alberto Paz und Valorie Hart beschreiben sein Unglück so: "His dark glasses and reserved demeanor fueled unfair and unfounded inuendos. Saying his name was considered bad luck (yeta). This caused him considerable grief throughout his controversial artistic life."


Trotz dieses Unrechts wissen Tango-TänzerInnen, dass er nicht umsonst "El Señor del Tango" heißt, und wie Juan Carlos Copes so schön sagt: sein Piano ist "the most tanguero of all"!


Keith Elshaw sagt, "when I meet a new person I am interested in dancing with, I pray that they put on Di Sarli so I can get her to slow down, open up and know my way of moving. He really gives great places to go and things to say." Letztendlich, wie Néstor Fernándey erklärt, "the rhythms of an orchestra tell dancers how to move. [...] [D]ancing to di Sarli, you'll walk and you'll stop, making elegant pauses" und eine Pause machen können ist sehr wichtig! Nach Carlos Gavito, "Tango is what happens between steps"!!! ;)

Über Di Sarli braucht man nicht viel sagen.. Ob man sein Orchester beim Hören erkennt oder nicht, ist auch nicht so wichtig.. Was zählt ist nur das: Wenn sein Orchester spielt, bittet seine Musik ganz zart unsere Seele zum Tanz und führt uns auf die Tanzfläche.. Mehr erfolg braucht kein Künstler, glaube ich..

Hören Sie z.B. Di Sarlis "Nido Gaucho", dessen Text von Héctor Marcó (1906-1987) - dem "emblematic lyricist" von Di Sarli - geschrieben wurde. Der Sänger der Aufnahme aus dem Jahr 1942 ist der junge Alberto Podestá (1924 -), der damals noch 18 war. Alberto Podestá erzählt, wie aufgeregt er war. als er von Di Sarli eingeladen wurde:
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When I was working at that place [Singapur cabaret], one evening somebody brought me a card, it had been handed to the waiter by a gentleman named Vázquez, that was Carlos Di Sarli's agent. He wanted me to meet him at a nearby barroom after my show was over. At the beginning I held it in my hands. As I realized I was creasing it, I put it into my pocket. Since the time the card was handed to me until the end of my performance my body was shivering. But I swear that I sang as never before. Imagine, to have the chance of singing with Di Sarli before I were 18. It was like a dream come true!
"

Oder Di Sarlis Version vom "Don Juan"... Sie ist eine Komposition von Ernesto Ponzio (1885-1934) - "El Pibe" (The Kid) -, die er angeblich 1898 wirklich als Kind komponiert hat. Die Geschichte des Liedes können Sie von Roberto Selles erfahren, aber die beste Interpretation von Don Juan hören Sie auf jeden Fall von Di Sarli.

Ein anderer Di Sarli Klassiker ist "Bahía Blanca". Ein Lied gewidmet dem Ort, wo er seine Kindheit verbracht hat und wo er schon 1919 sein erstes Orchester gegründet hat...

Robert Farris Thompson beschreibt Bahía Blanca so schön:
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The strings make their entrance with Zen-like economy. Out of the blue comes a strong phrase, like a reverse falling star, moving from bass to high register. It recurs, this time softly. Di Sarli is recalling where he lived as a child. Breaking the canon of bereftness. 'Bahía Blanca' proffers the past as a luminous cameo.
"

Wenn Sie jenseits der einzelnen Beispiele das gesamte Bild sehen mögen, dann lesen Sie die Worte von Ricardo García Blaya, der sehr schön die Besonderheit seiner Kunst zusammenfasst:
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El Señor del Tango was absolutely respectful of melody and the spirit of the composers of his repertoire, embellishing the orchestral instrumentation with nuances and subtle details, staying away from the false contradiction that existed between the evocative traditional tango and the avant-garde stream. Carlos Di Sarli was the final piece of the puzzle of tango in the 40s, that made neither concessions to strident fashions, nor to rhythmic extravagances and who, however represented with extreme delicacy, the interpretative paradigm of danceable tango.
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Also gerne nochmal! Wie Juan Carlos Copes so schön gesagt hat: sein Piano ist "the most tanguero of all"!

Die Sarli starb 1960.

Wie Troilo 'beklagt', "el ciago se llevó el secreto a la tumba" [the blind man took his secret away to the tomb].


Er hat aber viele tolle Aufnahmen hinterlassen...


Nicht vergessen, Carlos Gavito hat uns einen sehr wichtigen Hinweis übers Tango-Tanzen gegeben: "When a man dances, the woman must be a queen. Only that way can he be a king."


Di Sarli bildet mit seiner Musik die schönste Basis für unser "Königreich" und Dank Gavito wissen wir jetzt auch Bescheid, wie es weiter läuft! ;)

Burak

Mittwoch, Februar 27

zur Tangogeschichte - 9

Tango und Gesellschaft nach 1917:
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Auch die Überwindung der elementaren Speilweise der frühen Tangoorchester ist das Ergebnis eines mehrjährigen Prozesses, der wesentlich mit der Steigerung der Leistungsfähigkeit der Musiker und zugleich mit dem gesellschaftlichen Funktionswandel des Tango bzw. mit der Veränderung der Gesellschaftsstruktur Argentiniens zusammenhängt. Die Musik des Tango und ihre Umsetzung in die Provokation unzüchtig anmutender Körperbewegungen oder der in den frühen Kompositionstiteln zum Ausdruck gebrachte Verstoß gegen Sitte und Anstand entspricht nicht mehr den sichtbaren Machtverhältnissen. Jenes Konglomerat von entwurzelten und rechtlosen Ein- und Zuwanderern, das im Elend der Arrabales und Conventillos vegetierte, hat ökonomisch, politisch und kulturell eine vergleichsweise bessere Position errungen. Auch für diejenigen, die Yrigoyen indifferent oder ablehnend gegenüberstehen, symbolisiert sein Regierungsantritt eine neue Äre demokratischer Mitbestimmung und Verantwortung. Der Tango bleibt zwar ein Mittel der antielitären Selbstbehauptung, nur werden die ästhetischen Ansprüche entsprechend dem eigenen Aufstieg wieder nach oben gesteckt. Aus der Provokation wird eine Demonstration der eigenen Leistung, in die man bald selbst so vernarrt ist, daß man sie kaum noch körperlich erfassen und umsetzen möchte. Das kulturelle Vorzeigeobjekt wird musikalisch auch zunehmend schöner herausgeputzt. [...]

Es sind vor allem die Texte, die die publikumsverdünnende Sublimierung des Tango verhindern. Sie geben ihm zum Ärgernis kunsterpichter Genießerohren die Erdenschwere einer nationalen Wirklichkeit, deren gesellschaftliche Probleme auch während der Kurzen Demokratiephase bis 1930 keine Lösung finden. Selbst wenn diese Probleme in ihnen nur partiell und indirekt zum Ausdruck kommen, lassen sie den Tango nicht in die Region geschmäcklerischer Kunstadepten entschweben, sondern halten ihn in den Schichten der Bevölkerung fest, für die die Geschichte des Tango ein Teil der eigenen ist. Oder umgekehrt. Es ist das Massenpublikum, das sich gegenüber Virtuosentum und Spezialisten durchsetzt und sich den Tango als Ausdrucksform seiner eigenen emotionalen Bedürfnisse vorbehält.
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Dieter Reichardt, Tango

Samstag, Februar 23

Randnotizen um Tango - 9


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In der Küche war es dunkel. Wieder mal gab es keinen Strom und damit kein Licht. Im Finstern hörte man die watschelnden Schritte des Pinguins Mischa. Der war im Herbst vor einem Jahr in Viktors Leben aufgetaucht, als der Zoo hungrige Tiere an alle Leute verschenkte, die in der Lage waren, sie zu füttern. Viktor holte sich damals einen Königspinguin. Eine Woche vorher hatte ihn seine Freundin verlassen. Er hatte sich einsam gefühlt. Aber der Pinguin Mischa brachte seine eigene Einsamkeit mit, jetzt ergänzten sich die beiden Einsamkeiten, was eher den Eindruck einer gegenseitigen Abhängigkeit als den einer Freundschaft weckte.
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Andrej Kurkow, Picknick auf dem Eis
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Tango ist manchmal ein entlassener Königspinguin, der unerwartet in den Leben auftaucht und die Einsamkeiten  aneinander anknüpft, ohne ein Wort, still und unbemerkt...
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Freitag, Februar 15

Zum Tangotanzen - 4


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Thought is too slow for the state that one must have to dance. Those absent attitudes of "I am thinking about something important" while they look at their feet or of "I am relaxed" if you don’t know what you are doing, are a pose and a deficiency. You can check it by asking good female dancers who get bored when led in that way. It is sad to see young men engrossed contemplating themselves while they miss enjoying the beauties they have in front of them.

[...]


To dance thinking is the least advisable way, it restricts to the maximum every creative impulse. Dance is emotion, senses, instinct.
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Pablo Verón, aus einem Interview mit  Carlos Bevilacqua für El Tangauta

Mittwoch, Februar 13

zur Tangogeschichte - 8

Die frühe Aufnahmen und der Aufstieg des Tangos:
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The first 30 years of the 20th century sum up the creative process of the Tango both in technical and musical terms. Primitive mechanical systems acoustically recorded early music. The first electrical recordings started in 1926. These were undoubtedly the best decades of tango, a time of amazing production both in terms of quantity and quality of songs played by numerous performers. For the first time, tango became successful outside its birthplace, reaching audiences in Europe and the rest of the Latin America and North America. Great Composers such as Rosendo Mendizabal, Angel Villoldo, Ernesto Saborido, Eduardo Arolas, Ernesto Ponzio, Agustin Bardi, Gerardo Matos Rodriguez, and Vicento Greco created some of their best work during this period. They composed timelss classics such as 'El entrerriano,' 'La cumparsita,' 'El choclo,' 'La morocha,' 'Don Juan,' 'El lloron,' 'Que noche,' 'La cachila,' and 'Ojos negros.'

The world's most prominent recording companies set up shop in Buenos Aires, and Argentina’s own recording companies started to grow at a very fast pace. Tango was the world's favorite social dance. The tango as an exotic novelty took Europe by storm. Musicians travelled to Paris, and many stayed there. Skilled dancers found job opportunities in the City of Lights as dance instructors for rich Parisian socialites.
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Alberto Paz & Valorie Hart, Gotta Tango

Samstag, Februar 9

Randnotizen um Tango - 8

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Teaism is a cult founded on the adoration of the beautiful among the sordid facts of everyday existence. It inculcates purity and harmony, the mystery of mutual charity, the romanticism of the social order. It is essentially a worship of the Imperfect, as it is a tender attempt to accomplish something possible in this impossible thing we know as life.
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Kakuzo Okakura, The Book of Tea
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... von einer teeistische Einstellung zum Tango kann jede Tanzerfahrung nur profitieren, glaube ich... Teeismus beim Tango könnte dann die Anerkennung der Unvollkommenheit des Lebens und ein herzlicher Versuch zu einer schlichten Harmonie der Körper und der Seelen während einer dreiminutigen Zweisamkeit heißen ...
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Freitag, Februar 1

Biographien aus der Tangogeschichte - 4 - Julio De Caro

Julio De Caro, eine der wichtigsten Figuren der Tangogeschichte, wurde 1899 als zweiter Sohn von zwölf Kinder einer Italienischen Familie in Buenos Aires geboren... Ein begabtes Kind, das dann mit seinem Orchester ab 1924 eine tragende Rolle in der instrumentellen Tangomusik spielte, die – nach Julio Nudler - nur mit dem Einfluss von Carlos Gardel auf den Tangogesang verglichen werden kann.

Sein Vater, Jóse, war der Leiter des Konservatoriums vom Teatro della'Scala de Milano und er kümmerte sich sowohl um die musikalische Ausbildung seiner Söhne, als auch darum, dass seine Kinder studieren. Es war sein Wunsch Julio Klavier und sein Bruder Francisco Geige spielen lernten.

Was hält denn er in der Hand?*
Ein erster Verrat der beiden Brüder am Vater war der Tausch dieser beiden Instrumente...

Nachdem Julio 1917 im Palais de Glace (in Recoleta) Roberto Firpo beim Canyengue-Spielen gehört hatte, stand der zweite Verrat fest: die Brüder haben dann angefangen, Tango (bzw. im Tango-Orchester) zu spielen.

Als der Vater dies erfuhr und auch, dass Julio sich weigerte, Medizin zu studieren, wie sein Vater von ihm erwartet hatte, warf er den 18-jahrigen Julio aus dem Haus und Francisco folgt seinem Bruder.

In seinem ersten Orchester, gegründet 1924, kommen drei De Caro Brüder zusammen: Julio und Emilio an den Geigen, Francisco am Klavier und Unterstützung von Luis Petrucelli (der kurze Zeit später von Pedro Laurenz ersetzt wurde) und Pedro Maffia an den Bandoneóns.



Er hat 1924 auch seine erste Aufnahmen (einschließllich zwei eigner Kompositionen - "Todo corazón" und "Pobre Margot" - ) gemacht und in den folgenden dreißig Jahren hat er mehr als 400 Lieder aufgenommen. Der Großteil dieser Aufnahmen sind aus den Jahren von 1924 bis 1932 und bei dieser Gelegenheit will ich sagen, dass ich persönlich die Tangos aus den späten 20er und frühen 30er sehr gerne höre und zu ihnen mit großem Spaß tanze... :)

Sein großes Geschick ist allerdings, wie er das Volkstümliche und das Alltägliche mit seinem einzigartigen Fingerspitzengefühl mit der „hohen“ Kunst verbindet.. Das ist das "Provokative" in seiner Musik, wie es von R.F.Thompson treffend so beschrieben wurde. Diese große Kunst kann man am Besten durch sein Meisterwerk 'mala junta' (1927) erfahren..

Und De Caros 'Bodeo' (1928), z.B., verkörpert nach Oscar Del Priore die musikalische Evolution, die von der De-Caro-Schule zu dieser Art von Musik gebracht wurde. Ich glaube, dass ist es, was R.F.Thompson mit diesen Worten meinte: „a composer emerged, Julio de Caro, who transformed the musical order“** und sein Ruf eilte De Caro schon 1928 international voraus...

Burak



Strohgeige
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Das Instrument

Das ist eine Strohgeige, die nach ihrem Erfinder Johannes Matthias Augustus Stroh (1828-1914) so benannt wurde, aber die auch als Phonogeige oder Cornet-Violine bekannt ist. Die "normale" Geige war für die frühe Aufnahmetechnologien viel zu leise. Die Strohgeige war dann eine Lösung in den 20ern, um ihren Laut stärker zu machen. Julio De Caro wurde 1925 mit diesem Instrument vom U.S.Amerikanischem Jazz-Musiker Paul Whiteman bekannt gemacht und er spielte es in den 20ern.

**

Then something happened: a composer emerged, Julio de Caro, who transformed the musical order. He kept tango's rhythm but deepened its melody with an inimitable blend of symphonic and vernacular.

With a populist touch that honored buglers and organ-grinders and once even music boxes, he took pleasure both in European high culture and in Buenos Aires street textures. De Caro saw no contradiction in pleasing Italians who wanted bel canto and creoles who wanted a beat. He played the tango with well-trained performers who could read and write music. Many were Italo-Argentine, familiar with Rossini as well as milonga.

De Caro's accomplishment, blending concert and street, was extremely provocative.

Robert F. Thompson, „Tango, the art history of love


Mittwoch, Januar 30

zur Tangogeschichte - 7

Der erste Weltkrieg und Tango:
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In 1912, President Raymond Poincaré of France had confessed to Enrique Laretta, the Argentine Minister, that the French were indifferent to the threat of war. Two years later, in August 1914, when war fever suddenly gripped the country, Ricardo Güiraldes* was shaken by the patriotic frenzy in Paris; he felt that all his respect for Europe had been destroyed. 'What a great word is civilisation', he said bitterly, 'and a what a crushing reality is instinct'. […]

The Exodus of South Americans accelerated during the German invasion of France. […] A number, however, stayed behind, having volunteered to fight for France: the artist José García Calderón died at Verdun two years later. In that autumn of 1914, even the tango was swept up for patriotic service. Back in Argentina, Eduardo Arolas rapidly composed the tango 'El Marne' during Joffe's great defensive battle.

The horrors of the Great War made laisure of every kind more urgent and febrile. Young man coming back on leave tried to forget the trenches in a few dizzy hours at a night club or dance hall, while the women who danced with them were only too aware that they might never see their partners again. In the fashionable London circle led by Lady Diana Cooper, the parties of the war years became known as the 'dances of death'.

It was during the war that the first films featuring the tango appeared, all made in Argentina. In 1915 came
Nobleza gaucha, […]. The following year, the great Carlos Gardel featured in Flor de Durazno, a silent film in which he appeared dressed as a sailor. In 1917 came the first film devoted entirely to the tango – and appropriately called El tango del muerte.

Simon Collier (et.al.), Tango

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* ein argentinischer Schriftsteller

Samstag, Januar 26

Randnotizen um Tango - 7

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There are no odds to beat, no rules to set a limit on bad luck, and at each moment we begin again, as ripe for a low blow as we were the moment before. Things collapsed at the settlement.
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Paul Auster, The Locked Room
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...Tango ist einfach der melodisch-poetische Ausdruck dieser unglücklichen Tatsache...
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Mittwoch, Januar 16

zur Tangogeschichte - 6

Über die Musiker der Guarda Viaja:
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Guarda Vieja, Alte Garde, nennt man die Generation der Musiker, die sich ab 1890 dem Tango widmeten. Spätestens ab dieser Zeit eroberte dieser die Straße. Musikkapellen, die auf Jahrmärkten und Volksfesten zum Tanz aufspielten, integrierten den Tango in ihr buntes Programm aus Polkas, Mazurkas und Walzern. [...]


Das Publikum kam bald aus dem Zentrum und aus dem anderen Stadtteilen in die unzähligen Cafés im Hafenviertel. Es waren nicht mehr nur Tänzer, die die Tangomusik für sich entdeckten, denn das Publikum wollte nicht mehr ausschließlich tanzen, sondern auch zuhören. [...] Diese aufmerksamere Zuhörer veranlaßte die Musiker der Guerda Vieja dazu, ihr Spiel zu verbessern, zu präzisieren und den noch jungen Musikstil weiterzuentwickeln.

[...]


Die reinen Tango-Ensembles verdrängten langsam die verschiedenen Orchester und deren international gemischtes Musik-Repartoire aud den Cafés der Hauptstadt. Der Tango begann, das Zentrum zu erobern, seine Interpreten wurden immer professioneller. [...]

Die meisten Orchester klangen zur Zeit der Guerda Viaja relativ ähnlich. Den Musikern fehlte es an den technischen Fertigkeiten, um eine prägnante und unterschiedbare musikalische Persönlichkeit zu entwickeln. Die Orchesterleiter waren damals eher Manager. Sie kümmerten sich um Auftrittsmöglichkeiten und engagierten ihre Musiker kurzfristig und je nach Bedarf. Sobald ein Vertrag abgelaufen war, wechselten diese zu einem anderen Orchester.

Eine Ausnahme waren Roberto Firpo und Francisco Canaro, die bereits in der Zeit der Guarda Vieja einen eigenen musikalischen Ausdruck entwickelten
 "
Arne Birckenstock & Helena Rüegg, Tango

Dienstag, Januar 15

Zum Tangotanzen - 3

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Social dance and stage dance are two different skills. What differentiates them is intention and purpose.
The object of stage dance is to entertain the audiance. The dancer may be performing a chareography that is inspired by social dance, or may even be improvising, but the intention and purpose is to entertain people who are watching.
Social dancers may like to be watched. They may even dance better if they know someone is watching them. But the intention and purpose of social dance is to give pleasure to the person you are dancing with, and nothing else really matters.
[...]
Social dancers thrive on the comunication generated by improvised dance, inspired by the partner and the music, unpredictable and ever changing.
[...]
On the social dance floor it would be an insult to my partner to dance only for myself, or to dance for the people who are watching. If I have agreed to dance with someone, then it is my responsibility actually to dance with that person (not just to dance in front of and at the same time as them), and to dance in the way that will give my partner the most enjoyment from the experience. Getting involved with my own chareography or thinking about how I look to other people is fine, as long as it is not done at the expense of the person I am dancing with. That would be rude and disrespectful. To the dancers of the Golden Age it would have been inexcusable.
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Christine Denniston, The Meaning of Tango: The Story of the Argentinian Dance

Samstag, Januar 12

Randnotizen um Tango - 6


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Violence is without doubt an utter failure of human dialogue, of communication. [...] [V]iolence is an irresponsible act because it intends to eradicate the other's differences. [...]
Dialogue is a genuine ex/change and possible resolution of differences involving a balanced circulation of the yang of 'talking' and the yin of 'listening.' [...]
Dialogue requires listening as much as talking because without listening dialogue ends up with a series of monologues.
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Hwa Yol Jung, Transverality and Public Philosophy in the Age of Globalization
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Da Tango eine Sprache und Tango tanzen ein Gespräch ist, ist der Dialog die Grundlage für die Harmonie der sich umarmenden Differenzen, nicht der 'gewaltätige' Zwang. Wo der Zwang die/den Andere/n zum Schweigen bringt, dort endet der Dialog, endet der Tango, fängt die Gewalt an, tritt die Musik in den Hintergrund!
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Mittwoch, Januar 2

zur Tangogeschichte - 5

Der musikalische Hintergrund des Tangos, eine grobe Zusammenfassung:
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The history of tango starts around the the year 1870, when, in the suburbs of Buenos Aires, dances and songs of different origins came together.

The Cuban seamen who sailed the commercial route between the Caribbean Sea and the Río de la Plata brought the habanera, a slow dance in 2/4 time. The payadas, improvisations that the gauchos sung with the guitar, had become milongas when they got to the suburbs of the city. [...]

But the tango doesn't only have blood of habeneras, payadas and milongas.

In the second half of the XIXth century, Spanish theatre companies came to Buenos Aires and they included habeneras and Andalusian tangos in their plays. The Andalusian tango was a variation of the habenera but more cheerful and light-hearted.

To all this, one has to add the contribution of the slaves and their candombes, their pulsing rhythm and improvised steps and that of the Italian immigrants who loved to sing and were able to play instruments.

The tango then was born in the suburbs of Buenos Aires, it has something of the candombe, much of an habanera, rests of milonga and Andalusian tangos and a bit of Italian music.
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Mónica Gloria Hoss de le Comte, The Tango

Dienstag, Januar 1

Biographien aus der Tangogeschichte - 3 - Homero Manzi

Homero (Nicolás) Manzi(one) (1907-1951) war ein Dichter, der seine Gedichte, wie in poetischen Beschreibungen von R. Thompson, in „einer Geographie des Verlangens“ mit „einer Grammatik der Nostalgie“ geschrieben hat, der aber „nie ein Gedichtsbuch veröffentlich hatte“ (J.Nudler).

Auch wenn er als Kind aus dem Land (in Anatuya) geboren wurde, ist er in einer großen Stadt, in Buenos Aires aufgewachsen. Dorthin sind seine Eltern umgezogen als er noch ein kleines Kind war. So wurde Manzi als der Dichter von Barrio (des Stadtviertels) geboren und Barrio blieb immer der Ort und die Inspiration seiner Kunst.

Natürlich hat Plisson Recht, wenn er betont, dass sich Buenos Aires (und somit auch die Tango-Atmosphäre ) während der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts stark verändert hat. Es war ja auch genau diese Erfahrung und die melancholische  Erkenntnis des Verschwindens einer unersetzlichen Stimmung in Barrios (wie San Telmo), die die Texte von Manzi prägten.

Allerdings lebte Manzi nicht in der Vergangenheit. Er „schaute zurück“, schreiben Birkenstock und Rüegg, „aber er war nicht rückwärtsgewandt.“

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Er war ein Dicher mit zwei besonderen Qualitäten: Das inhaltliche Merkmal seiner Dichtung war mufarse, „bittersweet, like having the blues“ (R. Thompson), worüber ich ein anderes Mal ausführlicher schreiben werde, und das sprachliche Merkmal von Manzis Dichtung war seine bewusste Distanzierung vom Lunfardo.

Lunfardo, „as a new form of slang used by petty thieves“, der in Buenos Aires während spät-1870er auftauchte, so J. Baim, hat auch den Tango-Text beeinflusst und zur Etablierung der stereotypischen Vorstellungen vom Tango vieler Menschen heute beigetragen.

Allerdings wurde später einigen Autoren vorgeworfen, die ihre Texte weiterhin mit Lunfardo-Wörtern geschrieben haben, dass sie „'Talent durch lunfardo' [ersetzten], notiert Plisson, um vom Publikum geliebt zu werden. Was die Texter dieser Schöpfungen machten, so Birkenstock und Rüegg, betrachtete Manzi eher als eine Nachahmung der „stilisierten sprachlichen Klischees des Volkes.“

Obwohl Manzi, als ein Kind aus dem Barrio, „selbst Lunfardo sprach, schrieb er keinen seiner Texte in diesem Slang“, weil er sich nicht als Texter, sondern als Poet sah. (Birkenstock und Rüegg) Außerdem ist es auch bemerkenswert, was Plisson behauptet, dass Homero Manzi damals der Einzige war, der in der „einheimische[n] Dichtkunst ohne lunfardo bestehen konnte.“

Und das war vom Anfang an so, wie die unglückliche Anekdote veranschaulicht, dass er (als er vierzehn Jahre alt war) mit seinem Text 'El ciego del violin' (Der Blinde mit der Geige) an einem Wettbewerb den ersten Platz errang, aber die Jury ihn nicht gewinnen lassen wollte, weil seine Verse nämlich für einen Tango zu elaboriert seien.

Jetzt kommt aber das tolle Spiel des Schicksals! Genau mit diesem Text geht der Dichter Cátulo Castillo 1926 zum Komponist Sebasián Piana und sie komponieren gemeinsam den berühmten Tango 'Viego Ciego' (Alter Blinder)...

So kommt auch der erste große Erfolg in Manzis Karriere...

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Ich gehe hier aber einen Schritt zurück zu seiner einheimischen Dichtung ohne lunfardo. Manzis „Einheimisch-Sein“ ist sehr wichtig hier, in dem Sinn, als dass hier ohne Klischees und in einer kreativen Art der 'Folklore' eines Volkes gedient wird. 'Einheimisch-Sein' ist hier stark mit dem 'criollismo' der Zeit verbunden, was auch viel mit einer geistigen Emanzipation von der europäischen Herkunft eines großen Teils der Bevölkerung zu tun hat.

Erlaubt mir hier bitte mit Euch zwei längere Zitate über dieses Thema zu teilen, weil sie nicht nur für Manzis Leben, sondern eigentlich allgemein für die Geschichte Argentiniens und damit natürlich auch für die Tangogeschichte sehr bedeutende Aspekte erleuchten.

Nach Plisson, „[führte] jenes 'kreolische Bewußtsein' zur Entwicklung eines eigenen kulturellen Brauchtums. Tatsächlich wandte sich die einheimische Gesellschaft (die Bewohner von Buenos Aires und Montevideo) am Ende des 19. Jahrhunderts mit dem unaufhaltsamen Fortschreiten der Industrialisierung wieder traditionellen Werte zu. Im Hippodrom von Buenos Aires wurden 1880 cielito, zamba, gato und milonga, die traditionellen Tänzer der Pampa, getanzt. Der criollismo erfuhr eine Aufwertung, und mit ihm alles, was einen Bezug zu örtlichem Brauchtum hatte.

Natürlich läuft diese ganze Änderung Hand in Hand mit den politischen Entwicklungen in Argentinien. Malcher beschreibt diese Zeit folgendermaßen:

Die Criollo-Mittelschicht gründete im Jahr 1890 Argentiniens erste Massenpartei: die Unión Civica Radical (UCR), die Radikale Bürgeunion – an der mit Ausnahme des Namens nichts radikal war und die vor allem gegen die Privilegien der Oligarchie kämpfte. […] Bis zum Jahr 1930 setzte der Mittelstand Schritt für Schritt seine liberal bürgerlichen Forderungen gegen die Oligarchie durch. Das parlamentarische System stabilisierte sich, im Jahr 1912 wurde das allgemeine Männerwahlrecht eingeführt. Die UCR gewann 1916 mit ihrem Vorsitzenden Hipólito Yrigoyen die Präsidentenwahlen. Der Einfluss der Partei wurde unter dem exzentrischen Yrigoyen immer größer, mit Elan kämpfte er gegen die Privilegien der Oligarchie.* Er war vor Perón der populärste Politiker des Landes und ein Caudillo alter Schule.
[...]
[A]uch das boomende Argentinien blieb von der Weltwirtschaftskrise des frühen 20.Jahrhunderts nicht verschont. Der 1928 wiederwählte Yrigoyen stand hilflos gegenüber. […] [D]er Außenhandel Argentiniens sank rapide, der Haushalt kippte, und die Auslandsschulden stiegen ebenso wie die Arbeitslosigkeit. […]
Die konservative Rechte und das Militär hatten sich gegen ihn zusammengeschlossen. 'Nichts wird passieren', saggte der selbstherrliche Yrigoyen, als er von einem Mitarbeiter vor einem Putsch gewarnt wurde. […]
Mit dem Putsch von 1930 setzte eine neue Ära in der argentinischen Politik ein: die des Militärs. […] Sofort nach dem Staatsstreich versuchten die Putschisten die bürgerliche UCR politisch zu vernichten.


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Alle diese Entwicklungen, sowohl der Aufstieg vom criollismo und der UCR, als auch der folgende Putsch im Jahre 1930 haben Manzis Leben (wie alle Lebensgeschichten dieser Zeit) stark beeinflusst.

Dank der mit dem criollismo steigende Popularität des Tangos hatte er seinen 'richtigen' Ort für einen künstlerischen Ausdruck gefunden und da ist er aufgeblüht.

Andererseits war Manzi auch Professor für Literatur und Spanisch, aber wegen seines politischen Engagements (zusammen mit seiner Mitgliedschaft in der UCR) hatte er seine Stelle verloren.

Nachher ist er „wegen seiner übermäßigen Begeisterung für den General“ dieses Mal aus der  UCR ausgewiesen worden.

Ein kurzes, aber sehr bewegtes und produktives Leben hat Homero Manzi gehabt. Er hat Drehbücher geschrieben, als Journalist gearbeitet, er war sogar eine Weile Leiter einer Zeitschrift.

Vor allem hat er aber die Texte von so vielen berühmten Tangos, Milongas und Walzer geschrieben, dass ich sie hier nicht alle aufführen kann. Stattdessen würde ich hier sehr gerne auf eine großartige Arbeit hinweisen: Ulrike und Eckart Haerter haben 2007 an Manzis 100. Geburtstag 100 Texte von ihm ins Deutsche übersetzt und netterweise haben sie dieses Buch sogar auch FREI ins Internet gestellt. Vielen vielen Dank!

Irgendwann mache ich bestimmt einen Manzi-Abend beim Trainingsabend und da schreibe ich dann wahrscheinlich mehr über seine Zusammenarbeit (u.a.) mit Piana und besonders mit Troilo, und natürlich auch über seine Dichtung... Heute reicht aber so viel, glaube ich... ;)

Burak


* Es ist meiner Meinung nach aber notwendig, zu notieren, dass Yrigoyen stärker gegen die Arbeiterklasse als gegen die Oligarchie gekämpft hat. Das ist vielleicht ein Teil der Erklärung, warum er keine Unterstützung vom Volk gegen den Putsch bekommen konnte, als das Militär die Macht ergriff.

Plissons Beschreibung der Ereignisse von Ende Dezember 1918 bis Mitte Januar 1919 veranschaulichen diese Seite von Yrigoyens Politik:


Im Dezember 1918 bestreikten 2500 Arbeiter den Metallbetrieb Pedro Vasena e Hijos, sie forderten höhere Löhne und den Achtstundentag. Der Streik zog sich hin, und als im Januar die Polizei anrückte, eskalierte die Situation. 30 Arbeiter wurden verletzt, vier Arbeiter waren am Abend tot, zwei davon ihnen wurden zu Hause erschossen, keiner war bei den direkten Auseinandersetzungen ums Leben gekommen. Es folgte eine Woche, die als 'Semana Trágica' in die Geschichte Argentiniens eingehen sollte. Am 9.Januar 1919, dem Tag nach dem Polizeieinsatz, war Buenos Aires eine Geisterstadt. Die Geschäfte blieben geschlossen, die Theater sagten Vorstellungen ab, die Straßenbahn fuhr nicht.

Antonio Berni
Nur ein großer Trauerzug zog durch die Stadt. Es waren die Arbeiter, die ihre Toten beerdigen wollten. Frauen, Männer und Kinder mit roten Fahnen, Sozialisten und Anarchisten marschierten auf der Straße, um ein Zeichen zu setzen, dass sie keine Angst hatten vor derjenigen, denen das Land gehörte. Es waren Tausende Arbeiter, die die Avenida Corrientes hinaufmarschierten, zum Friedhof Chacarita. Als der Zug an einer Kirche vorbeikam, riefen einige Anarchisten antiklerikale Parolen. In der Kirche hatten sich Polizisten verschanzt, sie eröffneten sofort das Feuer auf die Demonstranten. Erst gegen fünf Uhr am Nachmittag kam der Trauerzug auf dem Friedhof an. Dort tauchten während der Rede eines Arbeiterführers plötzlich hinter der Friedhofsmauer Polizisten auf. Erneut fielen Schüsse, zwölf Menschen starben auf dem Friedhof. Tags darauf kam es in der ganzen Stadt zu Arbeiterprotesten. Die Oberschicht befand , man müsse durchgreifen, einige von ihnen bewaffneten sich und schlossen sich zur Parapolizeitruppe 'Patriotische Liga Argentiniens' zusammen. Ihre bewaffneten Banden durchkämmten Arbeiterquartiere, überfielen Bibliotheken und sozialistische Clubs. Sie griffen das jüdische Viertel Once an, auf der 'Jagd nach dem Russen', sie zündeten Synagogen an und Bibliotheken. Insgesamt fielen dem Terror 700 Menschen zum Opfer.